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Quo vadis, Mittelstand – Untergang oder Neustart?

Unternehmen, Vision, Unternehmer

 

 

Der Staat unterstützt die Wirtschaft in Corona-Zeiten mit vielen Milliarden. Das ist gut so. Allerdings kommt das Geld nicht immer dort an, wo es gebraucht wird. Nicht zuletzt, weil die kleineren und mittleren Unternehmen in Deutschland zu unterschiedlich sind, um ihnen mit Standardkonzepten zu helfen.

Viele Betriebe fallen durchs Raster der staatlichen Unterstützung. Trotz aller bisherigen Mühen kann deshalb nicht verhindert werden, dass auch gesunde Unternehmen durch die Krise eliminiert, ganze Branchen zerstört und persönliche Existenzen vieler Unternehmer*innen und Selbstständigen vernichtet werden.

Keine Planungssicherheit: Entscheiden wird zur Glückssache

Insbesondere aufgrund der fehlenden Klarheit und der Entscheidungen politisch Verantwortlicher „auf Sicht“ fehlt den deutschen KMU Planungssicherheit. Daher werden unternehmerische Entscheidungen zum Glücksspiel.       

Manch Unternehmer*in, der/die gerade das gesamte Privatvermögen in die Hand nimmt, um sein/ihr Lebenswerk zu retten, wäre persönlich besser beraten, der eigenen Firma jetzt ein Ende zu setzen. Aber ohne Klarheit, welche gesetzlichen Änderungen wann geändert oder aufgehoben werden, gilt das Prinzip Hoffnung.

Zudem haben Unternehmer*innen kleiner und mittlerer Betriebe mehr Verantwortung im Blut, als man es ihnen medial unterstellt, weswegen sie bis zum Schluss kämpfen, um ihren Mitarbeitenden eine Zukunft zu geben. Aus ethischer Sicht zu begrüßen, aber Dankbarkeit brauchen sie nicht zu erwarten.

Die Krise als Chance – aber nicht mit unseren strukturellen Defiziten

Gemäß Schumpeters Prinzip der „schöpferischen Zerstörung“ kann man diese Krise volkswirtschaftlich auch als große Chance sehen: Neue Geschäftsmodelle werden entstehen, die Digitalisierung wird vorangetrieben, zerstörte Unternehmen lassen Kunden und Fachkräfte zurück, die sich innovative Unternehmen erschließen können.

Die Frage ist nur: Wird es der deutsche Mittelstand sein, der in diese Lücken stößt? Es fehlt sowohl an Risikokapital, digitaler Kompetenz als auch Attraktivität des Unternehmerberufs, um die Chancen wirksam zu nutzen. Schon vor der Krise suchten Unternehmer*innen händeringend nach Nachfolgern, die auch mit ins Risiko gehen – größtenteils blieb die Suche jedoch erfolglos. Hier zeigt sich, dass sich nur wenige junge Menschen für den risikobehafteten Weg der Selbstständigkeit interessieren. Denn dieser Beruf schließt auch die Möglichkeit des Scheiterns ein – in Deutschland immer noch ein Makel.

Unternehmenskultur macht den deutschen Mittelstand stark

Diese deutsche Schwäche, im Vergleich zur angloamerikanischen oder chinesischen Risikobereitschaft, konnte durch eine Vielzahl an Familienunternehmen kompensiert werden, deren Strategie nicht das amerikanische Modell „gründen, wachsen, verkaufen“ ist, sondern langfristiger Bestand und Tradition. Diese Unternehmen waren bereit, das verdiente Geld stets erneut zu investieren, kalkulierte Risiken einzugehen, um das Unternehmen für die nächsten Generationen fit zu machen.

Die moderne Start-up-Kultur lächelt müde über solch tradierte Werte. Aber genau diese Unternehmenskultur macht den deutschen Mittelstand stark und zu etwas Außergewöhnlichem. Eine der wesentlichen Säulen unserer Volkswirtschaft und ein Garant gegen das Mantra der Konzerne „höher, schneller, weiter und vor allem: kurzfristige Stärkung des Börsenwertes“.

KMU verlieren Substanz und Innovationskraft

Doch es sind eben jene KMU, die in dieser Krise ihre Substanz verlieren und von staatlichen Hilfen der Konzerne nur träumen können. Sollten sie es trotz aller Widerstände durch die wohl noch lange andauernde Krise schaffen, sind sie aufgrund der notwendigen Verschuldung dauerhaft geschwächt. Ihnen fehlt künftig die Kraft, Innovationen voranzutreiben.

Ein weiterer Schwachpunkt ist die bisherige Stärke der deutschen Wirtschaft: Investitionsgüter, die weltweit exportiert werden. Auch unsere wichtigsten internationalen Partner sind durch die Corona-Pandemie geschwächt und werden sich Investitionen in deutsche Maschinen nicht (mehr) leisten können. Während die chinesische Exportstärke auf günstigen Produkten des täglichen Bedarfs beruht, die weiterhin gebraucht werden, sind deutsche Hochpreisprodukte aktuell eher uninteressant.

Ohne KMU: Gesellschaftliche Schere geht weiter auseinander

Wenn also die kleinen und mittleren Unternehmen nicht in der Lage sind, die schöpferische Zerstörung zu initiieren, und wenn zudem der deutschen Start-up-Kultur, ebenfalls durch die Krise geschwächt, das Risikokapital fehlt, dann ist es wahrscheinlich, dass die zu gewinnenden Marktanteile eher bei internationalen Konzernen landen werden.

Ich stelle die These auf, dass dies die Kluft zwischen Arm und Reich, die Ungerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft verschärfen und unsere soziale Marktwirtschaft schwächen wird. Denn es sind die kleinen und mittleren Unternehmen, die auf Steuerflucht verzichten und bei denen Manager nicht das 100-fache der Reinigungskraft erhalten. Gehaltsunterschiede wie in Großkonzernen mit ethisch fragwürdigen Boni und Abfindungsvereinbarungen gibt es bei KMU nicht. Unternehmer*innen des Mittelstands stehen auf dem Boden der Realität, kennen Ihre Mitarbeitenden und Ihre Kunden, lieben ihr Produkt und agieren nicht wie Managementsöldner der Konzerne.

Unternehmer*innen sind gefordert: Wie kann ich neu durchstarten?

Positiv stimmt, dass die deutsche Wirtschaft sich schon häufiger neu erfunden hat. Auch die Politik reagiert besonnen und zupackend zugleich. Zudem hat sie dank der Sparpolitik der vergangenen Jahre mehr finanzielle Möglichkeiten als andere Staaten.

Viele Unternehmen haben aufgrund des langen Wirtschaftsaufschwungs in Deutschland ausreichend Speck, um auch schwierige Zeiten zu überstehen. Das gilt aber nicht für junge Unternehmen oder Organisationen, die aufgrund von Wachstumsinvestitionen oder Umstrukturierungsmaßnahmen geschwächt sind. Hier fehlt es an Liquidität und Eigenkapital.

Was können deutsche Unternehmer*innen nun tun? So vielfältig wie deutsche KMU sind, so unterschiedlich fällt hierzu die Antwort aus. Letztendlich rate ich jeder verantwortlichen Führungskraft, sich eine kurze Auszeit zu gönnen und sich zu fragen:

  • Hat mein Unternehmenskonzept noch Zukunft?
  • Wie viel Kraft, Geld und Leidenschaft kann ich noch investieren, ohne selbstzerstörerisch zu handeln?
  • Bin ich ehrlich zu mir selbst oder übersteigt das Prinzip Hoffnung alles Rationale?
  • Wo ist meine Schmerzgrenze und wie sichere ich mich ab?
  • Kann ich mich durch innovative Ideen neu erfinden und die schöpferische Zerstörung, die in jeder Krise steckt, für mein Unternehmen nutzen?
  • Ist ein Neustart für mein Unternehmen oder für mich möglich? Wenn ja: Wie kann der aussehen?

Die eigentlichen Auswirkungen der Krise kommen erst noch

Selbstverständlich gibt es viele Branchen, die von dieser Krise noch nicht betroffen sind. Einige profitieren sogar von der aktuellen Situation. Doch auch hier muss mit Umsicht agiert werden. Denn die eigentlichen Auswirkungen der Krise kommen erst.

Bisher waren wir im Krisenmodus, schrittweise kehren wir nun zurück zur neuen Normalität. Was der zweite Lockdown ("light"), bringen und verändern wird, ist nicht absehbar. Es wird deshalb sicher eine "Normalität" mit weniger Nachfrage, mit strauchelnden europäischen Volkswirtschaften, mit einer höheren Arbeitslosigkeit und geringeren Steuereinnahmen sein.

All das wirkt sich auf deutsche Unternehmen aus. Daher sollte jede Führungskraft kritisch die eigenen Pläne und die persönliche Situation hinterfragen: „Quo vadis“ – wo soll es mit mir und mit meinem Unternehmen hingehen?

Neustart nach dem Untergang – haben wir die Kraft dazu?

Letztendlich werden viele von uns sich neu erfinden müssen. Dies gilt nicht nur für Unternehmer*innen, sondern auch für viele Arbeitnehmer*innen. Denn die Vernichtung von KMU wird gravierende Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt haben. Wahrscheinlich werden die meisten Topverdiener und gesuchten Fachkräfte einen neuen Job finden, aber was ist mit den anderen? Auch hier trifft es die „Schwachen“ unserer Gesellschaft.

Der Ruf nach der Politik ist sicherlich sinnvoll, aber er hilft den KMU nur selten weiter. Nach vorne schauen, seine Kompetenzen kennen und stärken, kreative Wege gehen und bereit sein, ganz von vorne zu beginnen: Das ist die Mentalität, die viele von uns brauchen werden – nicht die Beamten, auch nicht die Manager und High Potentials der Konzerne, sondern die heimlichen Leistungsträger. Jene, die bereit sind, Risiken einzugehen, ihre Steuern zahlen, ihre Mitarbeitenden nicht nur mit Namen kennen, sondern auch Anteil an deren Leben haben.

Es sind die unbekannten Helden unserer Gesellschaft, die von dieser Krise hart getroffen werden. Zum Wohle unserer Zukunft und der Zukunft unseres Landes hoffe ich daher auf einen Neustart des echten Mittelstands, auf eine Zukunft nach dem Untergang.

 

12 Tipps zum „Neustart“: Was Sie jetzt tun sollten

  1. Hinterfragen Sie Ihre persönlichen Perioden- und Jahresziele: Sind diese noch realistisch? Gibt es andere Wege, wie Sie Ihre persönlichen Lebensziele erreichen können?
  2. Stellen Sie Ihr Unternehmern auf den Prüfstand: Passt Ihre Strategie noch? Haben Sie die richtigen Zielgruppen? Liefern Sie mit Ihren Produkten und Dienstleistungen den Nutzen, den Ihre Kunden aktuell brauchen? Wie können Sie Ihre Produkte und Services besser dem aktuellen Kundenbedarf anpassen?
  3. Sichern Sie Ihre Liquidität: Prüfen Sie Ihre Bilanz, Ihre GuV und die staatlichen Sondermaßnahmen auf Möglichkeiten, Liquidität zu generieren. Optimieren Sie Ihr Working-Capital. Je mehr Liquiditäts-Puffer Sie haben, desto besser.
  4. Stärken Sie Ihre Kundenkontakte und bleiben Sie sichtbar: Das Wichtigste für Ihr Unternehmen sind Ihre Stammkunden. Halten Sie engen Kontakt und hören Sie genau hin, um herauszufinden, was Ihre Kunden benötigen und wie Sie ihnen helfen können.
  5. Intensivieren Sie den Kontakt zu Ihrer Hausbank, zu Ihrem Steuerberater, zu wichtigen Geschäftspartnern und Gesellschaftern. Nur mit gemeinsamer Kraftanstrengung werden Sie die kommenden Herausforderungen meistern.
  6. Halten Sie die Wertschätzung für Ihre Leistungsträger ganz oben auf Ihrer To-do-Liste fest. Auf stürmischer See benötigen Sie eine motivierte Mannschaft, auf die Sie sich verlassen können.
  7. Vermitteln Sie Orientierung und Zuversicht durch eindeutige Botschaften: Sie sollten unbedingt einen klaren Fahrplan für die nächsten Monate haben. So strahlen Sie die Führungsautorität und Tatkraft aus, die Ihr Team in unsicheren Zeiten braucht.
  8. Erkennen Sie die Chancen: Probleme sind bekannt, jetzt sind Lösungen gefragt. Also nehmen Sie die Zielfindung zur Hand und erarbeiten Sie Ihre Plus-Zustände.
  9. Erstellen Sie einen qualitativen Zielplan für das nächste Quartal. Prüfen Sie im monatlichen Rhythmus, ob die Richtung passt. Jahresziele sind in unsicheren Zeiten nicht hilfreich, da zwölf Monate nicht zu überblicken sind.
  10. Bleiben Sie Vorbild und wecken Sie in Ihrem Team die Neugier auf die anstehenden Veränderungen. Denn Neugierde auf das Neue ist für Ihr Team der wesentliche Schritt aus einem emotionalen Tief.
  11. Achten Sie auf Ihre Kraft: Um Vorbild zu sein, brauchen Sie auch weiterhin Energie und mentale Stärke. Ihre „Kraftinseln“ und „Energietankstellen“ sind daher wichtiger denn je. Nutzen Sie diese.
  12. Nehmen Sie sich eine Auszeit, besuchen Sie unsere Planungstage, treffen Sie mit dem HelfRecht-System die richtigen Entscheidungen und setzen Sie die beschriebenen Punkte um. Hier gelangen Sie zu den HelfRecht-Planungstagen.

Zum Autor:

Volkmar Helfrecht ist Vorstand der HelfRecht AG

E-Mail an Volkmar Helfrecht

 

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